Notizbuch

In meinem "Arbeitszimmer" liegen angefangene Kurzgeschichten, Gedanken, Textschnipsel.



Göttliche Fügungen? (2021)


Ich bewundere diese Menschen, die morgens aufwachen und wissen: Ich werde Industriekauffrau! Ich werde Bäckereifachverkäufer! Ich werde Elektroschweißerin!

Und die dann die göttliche Fügung der perfekten Berufswahl in sich verspüren. Ein Leben lang. Bis zur Rente. Lebenslänglich.


Ich verspüre immer nur einzelne göttliche Finger, die mich mal in die eine, dann wieder in die entgegengesetzte Richtung schnippen; ohne zu fragen, ist das jetzt, zu
dieser Zeit im Leben, okay für dich, du kleiner Mensch?

Die göttliche Kehrwoche kommt immer ungelegen, und ich schlittere auf der Seife herum.



Falsch verbunden (2017)

 

Flohmarkt.



Das altmodische Ding passte eben noch ins Auto, das vollgepackt war mit den seltsamsten, fast schmiedeeisernen Errungenschaften aus einem Land vor unserer Zeit: Ein sehr hübsches (prä-)historisches Telefon, gefühlt aus dem 18. Jahrhundert, als das fernmündliche Gespräch erfunden wurde, hölzerne Andenken, wie eine kleine Kommode mit Löwenfüßchen, und andere schaurig-schöne Accessoires - wie ein silberner Handspiegel, der sich in fast jedem klassischen Geisterhaus(halt) befinden sollte. Ich habe mir die kleine Kommode gekauft. Das ist was Bodenständiges. Der Handspiegel ist ein Geschenk für eine Verwandte.


Das Telefon war ein Zufallsfund.

Ich bin schon sehr lange auf der Suche nach einem glamourösen Telefon mit Chic. Als Scherz möchte ich es für jedermann sichtbar in meinem Haus aufstellen. Natürlich habe ich ein Festnetztelefon auf dem neusten Stand der Technik in meinem Arbeitszimmer. Ein Highend-Design-Phone, mit dem man tatsächlich trotz aller Funktionalitäten, auch noch telefonieren kann, also richtig sprechen. In die Muschel. Und man hört Töne. Antworten. Gespräche, so nennt man es, wenn beide reden, wie man das früher so machte.

 

Das altmodische Telefon, schwarz-silberfarbener Lack, mit Wählscheibe. Es war ziemlich athletisch gebaut, wohlgeformte Proportionen. Der ausladende, schwere, aber zugleich schlanke Hörer lag gut in der Hand und ruhte bei Nichtgebrauch auf einer zierlichen Gabel, die ihrerseits über dem Mittelbau mit der Wählscheibe thronte. Auch an diesem Telefon waren lustige Füßchen montiert. Ich mag diese Füßchen. Sie geben den Dingen eine dynamische Individualität.

 

Ich hatte das Telefon erst einmal nur aufgestellt. Ohne Anschluss. Ein Telefon ohne Anschluss ist ähnlich zweckmäßig wie eine Schere ohne Klinge. Mit den Wochen ergaben sich einige natürliche Zweckmäßigkeiten. Zum Beispiel fand es eine kleine Spinne sehr zweckmäßig, zwischen dem Hörer und dem restlichen Apparat ein kleines Netz zu bauen. Nicht, dass es sich bei mir lohnte, als Spinne zu wohnen. Manchmal hatte ich beim Staubwischen schon Mitleid mit dem kleinen Geschöpf. Eines Tages, nach einer Art Fastenzeit des Staubwischens, war es zu einer festen Instanz geworden, das Festnetz auf dem nicht verbundenen Telefon. Ich wartete gespannt auf die Telefonrechnung.

 

Eines morgens, ich war noch so verschlafen, dass ich dachte, ich träume nur, klingelte der neue Apparat. Er klingelte nicht, er läutete mich förmlich aus dem Schlaf. Ich torkelte schlaftrunken in mein Arbeitszimmer. Dort klingelte eigentlich gar nichts, dann erst in meinem Gedächtnis. Das neue Telefon! Ich schwankte die Treppen herunter. Ungläubig starrte ich es einige Sekunden lang an. Es klingelte tatsächlich! Mit der Spinne pokernd, ob ich abheben sollte oder nicht, hob ich doch vorsichtig den schweren Hörer von der Gabel und – Da war diese fremde Stimme. Nicht die von der Zeitansage.

Sie kannte meinen Namen und meine Adresse. Mir wurde heiß und kalt. Kalt und heiß. Mir schien, als beginne der Boden zu vibrieren. Oder war es mein Zittern?


Zum ersten Mal bemerkte ich, dass das Holzparkett knirschte. Ich bemerkte außerdem, dass sich die Gardinen vor den geschlossenen Fensterscheiben bewegten, schlecht für die Heizkostenabrechnung, und kalte Luft um meine Füße strömte. Unheimliche Stille um mich und das Telefon. Eine Stimme wiederholte im Stakkato „Hallo, sind Sie noch dran?“

War ich noch dran? Wo war ich dran?

Ich flüsterte zögernd eine Bestätigung in den Hörer.

„Hallo! Ihre Telefongesellschaft möchte Ihnen gerne einen Vertrag anbieten!"

Ein Knacken, ein Rauschen, unterbrach die Frau von der Telefonanstalt. Dann ein seltsames Gesäusel und plötzlich sagte eine kratzige, alte Frauenstimme: „Rachel? Bist Du noch dran?“

 

Ich sprang einen Satz weg von diesem Unding.

"Rachel, wer ist Rachel? Wer ist Rachel?", tönte es in meinem Hirn.

Ich kannte keine Rachel.

„Falsch verbunden, Madame!“, rief ich gegen das Rauschen und Knirschen in den Hörer.

Dann plötzlich war die Leitung erneut ganz klar und die Dame aus der Telefonverbesserungsanstalt war wieder dran, kristallklarer Klang.

Sie wiederholte jetzt einen anderen Namen.

"Sie sind doch Rachel D. ?"

"Nein, Entschuldigung, das muss eine Verwechslung sein."

Ich sagte laut und deutlich „Falsch verbunden!“ für alle Anrufer, Parallelanrufer, und besonders für mich.

Und legte auf. Und stellte nochmalig fest, dass das Telefon ja nicht verbunden war, weil es gar keine Kabel mehr hatte.

 

Plötzlich ein lautes Beep-Beep-Beep. Mein Wecker!

Meine Hand schlug nach rechts aus, wie ferngesteuert und stellte um auf Schlummern.

Wie vom Blitz getroffen, setzte ich mich auf. Ich lag noch im Bett! Mein Morgenmantel lag noch gefaltet auf einer Ablage. Ich atmete tief durch und lachte mich selbst aus. Alles nur ein Traum! Ein fieser Traum, aber nichts weiter!

 

Als ich schon halb auf der Treppe war, um mir unten in der Küche Frühstück zu machen, fiel mein Blick auf etwas Weißes auf der Ablage neben dem neuen alten Telefon. Beim Näherkommen stellte ich erst erleichtert fest, dass es kein Spinnenkokon war.

Danach bemerkte ich, dass es sich um ein Zettelchen handelte. Im Traum hatte ich nichts geschrieben. Was konnte es sein?

 

Ich stieg herab und drehte den Zettel um.

„Rachel sucht dich“, stand dort in großen Buchstaben geschrieben.



Ich bin – Bin ich – Ich bin Du – Du bist ich – Wir sind – Sind wir hier – Hier sind wir (2023)


Tag 1

Ich wandere durch die Welten. Ihr verharrt in Eurer Welt, während ich die Tore passiere. Ich bin die Vielen, die in Euch leben, und die Ihr Euch nicht traut, auszuleben. Ihr seid die bedauerlichen Geschöpfe, die nicht aus ihrer Welt flüchten können. Ich bin die Frau, ich bin der Mann, ich bin der Mensch, der in Euch lebt. Ich bin Eure Träume und die heimlichen Begehren. Meine Realität sind Eure Gedanken. Ich lebe Eure Erinnerungen und bin Eure erträumte Zukunft.


Tag 2

Meine Welt ist Eure Welt der Träume. Ich bin nicht real. Ich bin eine Eurer vielen Möglichkeiten und Auswege. Ich bin die vielen Wege, die nur gegangen werden wollen. Mein Leben existiert nur in Eurem Leben. Ihr könnt abbiegen und Lebenslinien kappen, mich versuchen abzuschütteln, aber ich folge Euch, wohin auch immer Ihr geht.


Tag 3

Ich mische mich nicht ein, sondern muss alles ausleben, was Ihr denkt. Alle Abenteuer auf Euren Wegen fallen auf mich zurück. Vielleicht habe ich sie Euch generiert. Vielleicht habt Ihr sie Euch gewünscht. Doch ein Leben ohne Umwege, ist wie nicht zu leben. Ich sorge für die stillen Winkel, steinige Klammen und verwinkelte Gassen, die manche Tage Eure Herzen besorgen, Eure Gedanken befallen.


Tag 4

Ich lebe Eure Angst vor Veränderungen, schlage mich mit Euren Zweifeln herum. Warum Ihr so unsicher seid, ist mir ein Rätsel. Ich bin doch Eure Stärke, Euer Mut! Greift nach den Sternen, die ich Euch in Eure Himmel male! Baut die Traumschlösser, die Ihr Euch erdenkt!


Tag 5

Während Ihr schlaft und ruht, wache ich über Euch. Ich bin Euer Atem, Eure Verbindung zur Welt. Ich hüte Eure Träume. Ich bin auch da für die nächtlichen Störnisse. Ich bin das Knacken und Rascheln. Ich bin der dunkle Blick in die Finsternis, das Huschen auf dem Flur.


Tag 6

Auf Euren Wegen folge ich auf Schritt und Tritt. Ich trete Eure Pfade aus, bevor Ihr sie geht, damit Ihr nicht stolpert. Ich hinterlasse Eure Stapfen im frischen Schnee. Ich riesele aus Euren Sandalen.


Tag 7

Im Herbst bin ich das bunte Laub, das Ihr bewundert. Ich bin das Werden und Vergehen. Das Frühlingsblühen und das Sterben. Durch mich wird alles neu, und dann bunt. Ich wehe durch Eure Haare und zerzause Euer Leben. Ich blase Euren Trübsinn fort. Hinaus mit Euch, in meine Welt!


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Immer diese viele Werbepost... (2007)

 

Deutscher Desinteressenverein e.V.

Herr Des-Cartes

Dessau-Rostlaub

 

Sehr geehrter Herr N.N.,

 

wir bedanken uns für Ihr Desinteresse an unserem Deutschen Desinteressenverein e.V. mit Hauptsitz in Dessau-Rostlaub. Damit Sie eine möglichst gute Desillusion von uns erhalten, liegt diesem Brief keine Informationsbroschüre bei.

 

Unsere Desorganisation vereint die Desinteressen unserer desillusionierten Mitglieder und fördert desweiteren intensive Desintegration und Desorganisation im Kreis Dessau. Wir sind deswegen erfreut, dass Sie diese destabilisierenden Ziele auch in Ihrer Heimatstadt vermitteln möchten.

 

Wir freuen uns sehr, wenn Sie weitere Desinteressenten werben. Auch und vor allem junge Desinteressierte sind willkommen!

Für Rückfragen steht Ihnen jederzeit unsere designierte, desinteressierte und desintegrierte Sekretärin Frau Nie-Da (Tel. Durchwahl 08/15) zur Verfügung.

 

Der Vorsitzende unseres Vereins, Herr Des-Cartes, verwaltet die zahlreichen Desinteressen unserer Nichtmitglieder.

 

Desinfizieren Sie sich für unsere Sache! Werden auch Sie desperates Mitglied unseres hoffnungslosen Vereins!

 

Mit freundlichen Grüßen

N.N.


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Schnörres (2018)

 

Neulich an der Strandbart,

ein Tag im Movember.
Der Bartmann lächelte mich an.

Ich hatte wohl vergessen,

Bartinder zu schließen.

 

Es gab heute nur Bloody Hairy.

Das Fell glänzte in der Sonne.

Die Strähnen wehten im Wind.

Augen nur auf Schnörres.

 

Es wollte sich an mich schmiegen,

wollte sich um mich winden,

als es mich um ein Date bart.

Es hatte nichts als Flusen im Kopf.

Schnörres.

 

Plötzlich fing es an zu sprechen.

Es nannte sich Schnurrbert.

Es erzählte mir von seinen Lieblingstieren.

Walross und Bartenwal.

Schnörres hatte einen eigenen Charakter.

Beim Sprechen tänzelte es auf und ab.

Machte mich ganz seekrank.

Schnörres.

 

Erst viel später erkannte ich, 

dass an Schnörres noch ein Mann klebte.

Er hieß Bartholomäus.

Es...er sagte mir die schönsten vier Worte,

die ich je von einem Schnörres gehört hatte:

"Willst Du mich rasieren?"


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